Institut für Slavische Sprachen und Literaturen

Tolstoj als theologischer Denker und Kirchenkritiker

Das vorliegende interdisziplinäre Forschungsprojekt rückt einen Aspekt von Tolstojs literarischer und biographischer Existenz in den Vordergrund, der oft vernachlässigt oder abgewertet, ja sogar kirchenoffiziell verurteilt wurde: Tolstojs Theologie.

Inhalt und Ziel des Forschungsprojekts

In Tolstojs Selbstwahrnehmung spielten theologische Gedanken eine zentrale Rolle: Bereits als junger Mann hegte er den Plan, eine neue Religion zu gründen. Er versuchte in der Tat, nach strengen moralischen Grundsätzen zu leben, und scharte in seinen späten Lebensjahren eine Reihe von Anhängern um sich, die seine in Russland verbotenen religiösen Schriften im In- und Ausland verbreiteten. Nach 1880 entwickelten sich zunächst in Russland, später auch in Westeuropa, Nordamerika, Indien und Japan Gemeinschaften, die nach Tolstojs religiösen Prinzipien lebten.Ziel des Projektes ist es, Tolstoj anlässlich seines 100. Todestages (am 20. Nov. 2010) in seiner weithin vergessenen und unterschätzten Bedeutung als theologischen Denker neu zu beurteilen und kritisch zu würdigen. Dabei soll aufgezeigt und berücksichtigt werden, dass Tolstojs theologisches Denken, auch wenn es in theoretischen Traktaten dargelegt ist, nicht von seiner künstlerischen Arbeitsweise getrennt werden kann. Das Forschungsprojekt will Tolstojs intellektuelle Statur neu konturieren und auf die Wirkungsmächtigkeit seiner theologischen und kirchenkritischen Konzeptionen aufmerksam machen.Geplant ist eine zweibändige deutschsprachige wissenschaftliche Publikation, worin Tolstojs theologische Entwürfe auf dem neusten Stand der Forschung in einer repräsentativen Zusammenschau dokumentiert, in ihrer Systematik dargestellt und in ihren Rezeptionszusammenhängen erläutert werden. In einem ersten Band sollen unter theologisch-systematischen, historisch-theologischen und geistesgeschichtlichen Gesichtspunkten Tolstojs dogmatische Denkkategorien rekonstruiert sowie deren Kontext und Wirkung aufgezeigt werden. Die Kapitel des ersten Bandes werden im Teamwork von in- und ausländischen SpezialistInnen aus den Fachbereichen Theologie, Slavistik und Philosophie verfasst. Der zweite Band ist als Textsammlung konzipiert und beinhaltet eine repräsentative Auswahl an theologischen Schriften und Schriftauszügen Tolstojs, die neu übersetzt und wissenschaftlich kommentiert werden. 13 kürzere theologische Traktate werden dabei erstmals ins Deutsche übertragen. Da Tolstojs theologische Schriften im deutschen Buchhandel nicht mehr erhältlich sind - und wenn sie sich in Bibliotheken finden, in meist über 100-jährigen Übersetzungen vorliegen -, ermöglicht die geplante Publikation der deutschsprachigen Leserschaft in vielfacher Hinsicht einen aktuellen, leichteren und besseren Zugang zu Tolstojs Theologie. Sie soll sich nicht nur an wissenschaftliche Fachleute aus der Theologie und der Slavistik richten, sondern auch an ein breiteres Leserpublikum von theologisch Gebildeten und religiös Interessierten.

Verantwortliche:r und weitere Gesuchsteller:innen

  • George Martin (Universität Berlin Theologische Fakultät)
  • Schmid Ulrich (School of Humanities and Social Sciences Universität St. Gallen)

Mitarbeitende

  • Brunner Sonja
  • Münch Christian (Institut für Historische Theologie Universität Bern)
  • Meier Andrea (Bundesamt für Raumentwicklung)